Ein Schreiber und seine Machtphantasien.

Ein populistischer Kommentar zum bezirklichen Populismus.
In der gestrigen Ausgabe der Springerpresse zeigt sich Markus Schreiber, Bezirksfürst von Hamburg-Mitte, mal wieder von seiner besten Seite – er gibt den schamlosen Hardliner, der angeblich nur das beste für seinen Stadtteil will.
Und das Beste ist in der schreiberschen Weltsicht eine nach eigenen konservatven Normvorstellungen umgestaltete Stadt – Wohnungslose gehören mit künstlichen Bachläufen vertrieben, alte Häuser an der Reeperbahn gehören abgerissen und durch renditeträchtige Neubauten ersetzt, und ökonomisch uninteressante Wagenplätze müssen weg. Diese Linie verfolgt Schreiber unbeirrt seit über einem Jahrzehnt – nach der durch ihn veranlassten Räumung des Wagenplatzes Bambule ließ er verlautbaren, der gehe eher ins Grab, bevor er einen neuen Wagenplatz in seinem Bezirk akzeptiere.
Ja, so kann sich auch ein Bezirksamtsleiter täuschen: Seit nunmehr 9 Monaten existiert der Wagenplatz Zomia in Wilhelmsburg. Und wird dort auch bleiben, denn mittlerweile ist selbst bei Schreibers SPD-ParteigenossInnen der Unmut über den dummen Alleingang deutlich; totaler Irrsinn sei sein Verhalten, klingt es aus den oberen Reihen herab…
So in die Enge getrieben kommt bei autoritären Herrschern der Beißreflex umso sinnloser hervor: Mittels des Abendblatts wird gestern ein weiteres „Ultimatum“ gestellt. In den zurückliegenden Monaten sind solche Drohungen, die Zuhause der Zomia-BewohnerInnen zu klauen, wiederholt wirkungslos verhallt. Denn auch quer durch die Parteipolitik hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass eine Räumung keine Probleme löst, sondern erst schafft. Zumal es im Fall Zomias überhaupt keine Gründe zum Räumen gibt.
Diese werden nun jedoch durch den Pressesprecher des Bezirks mühsam konstruiert. Nachdem das Hamburger Wohnwagengesetzt zur Illegalisierung der Bauwagen nicht mehr glaubwürdig war muß wiederholt der Bebauungsplan ran: Die Fläche sei ein Industriegebiet, da sei Wohnen nicht zulässig. Dieses Argument glaubt ausser dem Abendblatt weder Schreiber selbst noch der Rest der Beteiligten: Steht im Wohnwagengesetz doch schwarz auf weiß, dass Ausnahmen von der Gebietswidmung bei der Einrichtung von Wagenplätzen problemlos möglich sind. Diese Einschätzung teilen nicht nur Anwälte und der Baudezernent des Bezirks – auch die anderen Wagenplätze in Hamburg zeigen, dass ein Platz auf Industriegebiet, Gewerbegebiet und sogar Grünfläche unproblematisch ist.
Es müssen also neue Gründe her, und so wird wieder kräftig ausgeholt: Ein Spazierweg würde fon Zomia „beeinträchtigt“, Müll würde in die Landschaft geworfen, und illegal wie ein Falschparker würde sich Zomia verhalten. Huch – da fehlen ja nur noch die unhygienischen Zustände mit Ratten und der Trading-Down-Effekt, um die reaktionären Vorstellungen aus den 90ern wieder eingeholt zu haben!
Herr „ich unterstütze ihre Wohnform nicht“ Schreiber: Schönen Gruß von der Stadtreinigung, die unsere Mülltonnen abholt, und von der Finanzbehörde, die unser Pachtangebot wegen ihres bornierten Verhaltens ausschlagen mußte!
Gleichzeitig ist die Erkenntnis bitter und nicht überraschend, dass Herr Schreiber kein Einzeltäter inmitten einer Oase der Vernunft ist – neuerdings beruft er sich auf einen Beschluss der Bezirksversammlung, die einen GAL-Antrag auf Verbleib Zomias im April ablehnte. Die offizielle Begründung: Man werde einer laufenden Beratung in der Bürgerschaft nicht vorgreifen. Die inoffizielle Begründung: Wenn es hart auf hart kommt werde man „politisches Arschloch“ sein und sich wider besseren Wissens vor seinen Chef stellen. Mit „Chef“ ist der durch die eigene Stimme legitimierte Bezirksamtsleiter Markus Schreiber gemeint – Herzlich Willkommen in der Realpolitik!
Dieser ganze Klamauk spielt sich ab vor dem Hintergrund einer Regierungs-SPD, die am liebsten ruhig durchregieren möchte, aber in ihren eigenen Reihen voll von Machtspielchen und Intrigen ist – und einer Opposition, die angesichts der Mehrheitsverhältnisse vor lauter Ohnmächtigkeits-Gefühlen auch nicht weiß, was sie tun soll.
Und so schließt sich der Kreis: Ein Bezirksfürst lebt seine persönlichen Abneigungen aus, eine SPD läßt den „Irrsinn“ geschehen und Zomia ist herrlich, bleibt selbstbestimmt und wird noch lange ein kleiner Wilhelmsburger Stachel in der heilen Traumwelt eines Möchtegern-Bausenators bleiben.

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