Huch, wer bohrt denn da?

Wer in den letzten Wochen aufmerksam die Grundstücke rund um die Sternbrücke und auf der Brammerfläche beobachtet hat konnte Sonderliches besichtigen: Schweres Bohrgerät ist aufgefahren, Rammsondierungen werden in den Schotter gehämmert, „Kernlochbohrungen“ fördern „Bodenaufschlüsse“ zu Tage und zwischen all dem Tiefbau wird fachkundig die Pflanzenwelt kartiert.

Fachleute ahnen es schnell, und den betroffenen Laien wurde es schriftlich mitgeteilt: Hier wird eine Baustelle vorbereitet. Eine sehr, sehr große Baustelle.

Seit über einem Jahrzehnt ist die notwendige Erneuerung der Bahnbrücke über der Kreuzung Stresemannstraße – Max-Brauer-Allee im Gespräch und schon mehrfach wurde das Ende der dort beheimateten Clubs prognostiziert. Auch wenn der tatsächliche Baubeginn noch in der Zukunft liegt wird es nun konkret: Die Bauvorbereitung vor Ort hat in diesen Tagen begonnen.

Ab etwa 2020 will die Deutsche Bahn AG in einer dreijährigen Bauphase die Sternbrücke erneuern. Dafür sollen die Katakomben (in denen sich aktuell Fundbüro, Astra-Stube und Waagenbau befinden) mit Beton gefüllt, das Gleisbett tiefer gelegt und eine massivere, neue stählerne Brückenkonstruktion aufgesetzt werden. Der Pfeiler mitten in der Stresemannstraße entfällt.

Aber was hat so ein Brückenneubau mit dem Wagenplatz Zomia zu tun?

Unsere Wagenplatzfläche ist ein Teil der sogenannten Brammerfläche an der Max-Brauer-Allee, keine 300 Meter von der Sternbrücke entfernt. Genau diese Fläche hat die Bahn sich als Montageplatz für die Brückenelemente und Materiallager für ihr Bauprojekt unter den Nagel gerissen! Der Eigentümer der Fläche ist die Stadt, eigentlich hätte sie als letzte große Freifläche am Rand des Schanzenviertels schon 2015 bebaut werden sollen (altona.info Artikel). Dagegen hat die Bahn 2014 interveniert und Nutzungsrechte für die Brammerfläche für ihre Baustelle ab 2019 gefordert – was die Stadt per Anhandgabe umgesetzt hat (taz Artikelchen). Deswegen droht mit Baubeginn nicht nur den Musikclubs unter der Sternbrücke, sondern auch dem Wagenplatz Zomia, dem Biergarten central park und einem PKW-Parkplatz auf der Brammerfläche die Vertreibung von ihren angestammten Orten. Nachdem die Bahn die Sternbrücke erneuert und die Brammerfläche wieder verlassen haben wird ist dort ein Gebäudeneubau geplant – Nachverdichtung ist eben weiterhin oberstes Gebot in Hamburger Stadtpolitik, inklusive Verdrängung von Subkultur, alternativen Wohnprojekten und lebenswerten Lücken im Beton.

Die aktuellen Bohrungen und Pflanzenkartierungen auf der auch von uns genutzten Brammerfläche sind nun der erste sichtbare Schritt: Baugrunduntersuchung als Grundlage der kommenden Baustellenplanung. Allerdings: die Alternative zur in einigen Jahren kommenden Bahnbaustelle wäre ein Gebäudeneubau schon 2015 oder 2016 gewesen – aus diesem Blickwinkel ist die gewonnene Zeit eine gute Fügung. Gleichzeitig hatte der Wagenplatz Zomia im Jahr 2012 mit der Brammerfläche nach zweijähriger Auseinandersetzung mit der Stadt endlich ein gutes Zuhause gefunden, welches bislang völlig alternativlos ist.

Deswegen lassen uns die Bohrkerne und Rammsondern aufgerüttelt zurück und wir sagen schon und ein weiteres Mal laut und deutlich: Wagenplätze gehören in die Stadt! Sichtbar, langfristig, im offenen Bruch mit architektonischen Ästhetikvorstellungen und als weithin sichtbare Alternative zu Stein, Stahl und Beton. Bauwagen und Wohn-LKWs haben Räder und können ins Rollen geraten. Aber verschwinden werden sie mit Sicherheit nicht.

Zomia im Sommer 2016

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