Über Indianer und Westernreiter.

Oder: Wie eine kleine Truppe von engagierten Bürgern Zomia als neues Betätigungsfeld entdeckt .

Im Folgenden geht es um unsere Reaktion auf einen offenen Brief von „Baum und Busch Wilhelmsburg“ (siehe unten). Wir haben keine Lust einen sachlichen Streit öffentlich über die Presse zu führen, wollten jedoch diesen Brief mit seinen Diffamierungen auch nicht einfach so stehen lassen.

Es fällt schwer, sich argumentativ und sachlich auf Menschen einzulassen, die für sich in Anspruch nehmen, für „die Wilhelmsburger“ – und zwar alle – zu sprechen.
Die in Heimatschutzmanier alle anderen – ungefragt – als „Neu-Wilhelmsburger“ abwerten. Wir sind der Ansicht, dass Menschen wohnen dürfen wo sie wollen. Frei nach dem Motto „die Insel denen die drauf wohnen“ und zwar allen! Mega-Stadtplanungsprojekte wie die IBA und die IGS, verfehlte Sozialpolitik, kapitalistische Wohnungspolitik samt völlig bekloppter „Durchmischungsstrategie“ sowie kommerzieller Städtestandortwettbewerb bieten unserer Ansicht nach bessere Angriffspunkte. Wenn sich Baum und Busch aus unserer Perspektive selbstüberschätzend zu „den Wilhelmsburgern“ ernennt, ergeben sich auf einer ganz anderen Ebene Blüten der Absurdität. Die Fläche, auf der sich auch Zomia befindet, wird seit vielen Jahren als freies Hundeauslaufgebiet und Ort zum Sonnenbaden von Menschen genutzt, die sich auch als „Wilhelmsburger_innen“ bezeichnen. Baum und Busch verlangt von Zomia nun sich als neue Herrscher_innen zu betätigen, Zäune zu bauen, die Spaziergänger_innen mit Hunden „ruhig ein bißchen zu ärgern“. Eine Handvoll Menschen diktiert also, was Wilhelmsburg will, möchte und braucht. Sich selbst in der Position sehend, für 50.000 höchst unterschiedliche Menschen und gleich die gesamte Natur noch mit dazu sprechen zu können, erfordert ein erschreckend hohes Maß an Selbstüberschätzung.

Wir lehnen Gespräche mit Menschen ab, die immer wieder die Staatsmacht anrufen statt auf Gesprächsbereitschaft einzugehen und damit implizit Staatsrepression in Form von einer Wagenplatzräumung begünstigen.
Es ist für uns nicht mehr akzeptabel, mit Menschen immer wieder das Gespräch zu suchen, die schon im Dezember einen Diffamierungsbrief an alle lokalen Politiker_innen und die Presse verschickten – unmittelbar bevor politisch über eine Duldung von Zomia beraten wurde. Im April 2011 tritt Baum und Busch dem Recht auf Stadt Netzwerk bei, dem vielfältigen Bündnis sozialer Bewegungen, die sich das Recht auf Stadt nehmen und äußerst kritisch gegenüber der Hamburger Stadtentwicklungspolitik eine Stadt „von unten“ propagieren. Kaum zwei Tage nach der Aufnahme ins Bündnis im April ruft Baum und Busch erneut genau jene vom Bündnis kritisch gesehene Staatsmacht an, um einen unliebsamen Bündnispartner wegräumen zu lassen: Die Initiative bittet Politiker_innen der Bezirksversammlung, doch bitte zu zitieren, dass Baum und Busch gegen Zomia sei. Dieses Spielchen im April kurz vor einer scheinbar drohenden Räumung komplettiert die Gruppe mit ihrem „offenen Brief“ an die Öffentlichkeit und Presse. Wir sprechen Baum und Busch die Dummheit oder Naivität ab, sie wüssten nicht was sie täten, wenn sie sich im Namen eines instrumentalisierten Umweltschutzes und im Namen „der Wilhelmsburger“ öffentlich von Zomia entsolidarisiert. Zur Vertreibung der anderen Gruppe Stimmung zu machen und dafür Staatsrepression, Presse und Öffentlichkeit zu manipulieren, geht mindestens einen Schritt zu weit. Unser letzes Gesprächsangebot an Baum und Busch steht eigentlich noch aus. Aber nicht mit so einem Brief in der Welt. Es reicht.

Wir haben keine Lust mehr, auf die Menschen einzugehen, die wissentlich Falschinformationen verbreiten und Diffamierungen großer Tragweite aussprechen von denen sie nur von Hörensagen wissen, und deren Wahrheitsgehalt nicht nachgeprüft wird.
Wir werden einen sachlichen Streit nicht über offene Briefe führen. Deswegen hier nur einige Beispiele: Die Fläche sei ein wichtiges Grüngut, es gäbe dort ökologisch wertvolle Halbtrockenrasen-Pflanzengesellschaften und Zomia könne dort auf gar keinen Fall bleiben. Die Biologen und Umweltwissenschaftlerinnen von Zomia konnten jedoch keine derartige Vegetation entdecken – doch erst als die Biotopkartierung klarstellte, es gäbe auf der Fläche nur Ruderalvegetation und Pionierwald, hörte das Baum und Busch-Gerede vom Halbtrockenrasen auf. Hinter vorgehaltener Hand wurde Zomia nun allerdings Manipulation der offiziellen hamburgweiten Biotopkartierung vorgeworfen! Das gleiche Verhalten – wissentlich Unwahrheiten und anschließend Leugnen der Fakten – wurde in Bezug auf die Flächenwidmung deutlich: Eine Grünfläche, fast gar ein Naturschutzgebiet würde Zomia mißbrauchen. Die Hinweise auf die Widmung als Industriegebiet wurden erst ignoriert, dann angezweifelt und schließlich als „formell richtig, aber unbedeutend“ abgetan. Über Leute die uns Autoreparaturen ohne Bodenschutz oder dreitätige Feiern andichten, wollen wir nicht reden. Der Beigeschmack, der dieses Verhalten hinterlässt, ist bitter.

Wir verweigern uns der Rechtfertigungshaltung des sogenannten „richtigen Naturschutzes“ als statuiertes Exempel auf der Fläche!
Baum und Busch propagiert das Motto „Fordere das Beste für dich und deinen Lebensraum!“, betreibt aber Naturschutz nach der Ideologie der völligen Trennung von Mensch und Natur. Unserer Ansicht nach ist diese Trennung Blödsinn. Wir vertreten ein Umweltvorstellung von „Schutz und Nutzung“, in der Menschen und Natur zusammengedacht werden (müssen). Darin sind Orte wichtig, in denen Natur „geschützt“ wird, bestimmte Arten oder Biotope vor der Störung und Zerstörung durch den Menschen geschützt wird. So geschieht es u.a. auf Teilflächen der Hamburger Naturschutzgebiete. Weiterhin gibt es als menschlich geprägtes Gegenextrem Orte, an denen Menschen auf versiegelten Flächen Häuser, Straßen oder ähnliches bauen (wo zum Beispiel „die Wilhelmsburger“ wohnen). An den meisten Orten befinden sich Mensch und Natur aber in Wechselwirkung. Menschen haben auch durch ihren Konsum und ihren Lebensstil über den Verbrauch von Ressourcen oder den Ausstoß von CO2 Einfluss auf die „Natur“. Mensch und Natur auf Baum und Busch-Art getrennt von einander zu betrachten ist für uns nicht haltbar. Wir versiegeln durch unseren Wagenplatz die Fläche nicht. Unser Energie- und Wasserbedarf pro Mensch ist im Vergleich zum Durchschnitt krass gering und wir experimentieren mit verschiedenen umweltschonenden Alltagsstrategien. Komplette Blindheit beim Zusammendenken sozialer und ökologischer Aspekte beweist Baum und Busch mit ihren Vorschlägen, wo Zomia hin solle: Auf einen Spielplatz wollten sie die Wagengruppe schicken. Oder, alternativ, auf einen Sportplatz am Ende der Fährstraße, aus Sicht der Heimatschützer_innen also Orte, an „denen ihr keinen Schaden anrichten könnt“.

Wir bewohnen eine grüne Fläche, die (aus gutem Grund) nicht geschützt und als Industriefläche ausgewiesen ist und im Zweifel auch dafür verwendet werden wird. Das bestätigt der Bebauungsplan und die Hamburger Biotopkartierung. Die einzige Behörde, die uns bisher per Stellungnahme gut findet, ist die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt: gegen die Nutzung der Fläche bestehen aus fachbehördlicher Perspektive keine Bedenken. Also, wir sehen keinen Grund uns gegen den Vorwurf der „Verdichtung des Bodens durch die vielen Füße“ zu rechtfertigen oder gegen die Nutzung des „Pionierwalds“ als schön klingenden Fachbegriff (nix anderes als schnell wachsende Bäume, die meist windverbreitet sind und als Erstes an Stellen wachsen, wo zum Beispiel vorher eine Industrienutzung war). Seit vier Jahren verschwindet eine Fläche nach der nächsten (die für Container an der Reiherstiegklappbrücke, die Brache am Fährstieg, die für die IBA im Korallusviertel, die Fläche gegenüber von Zomia, etliche Flächen durch die igs an vielen Stellen). Warum Baum und Busch jetzt ausgerechnet bei einem Wagenplatz die schärfsten Geschütze auffährt kann nicht mehr mit Sachlogik erklärt werden – eher scheint Zomia als „Gegner gleicher Augenhöhe“ gesehen zu werden, wo die eigene Machtposition nach erfolglosem Streit gegen IBA und igs endlich mal erfolgreich genutzt werden kann. Spätestens jetzt stellt sich die Frage der Verhältnismäßigkeit!

Wir würden es krass finden, wenn Baum und Buschs Diffamierungen ohne hinterfragt zu werden Teil der Meinungsbildung sind und wenn auf diese Weise einzelne stimmgewaltige Bürger_innen ihre Ängste und Frustrationen an illegalisierten Wagenplätzen auslassen könnten.
Wir haben es satt, weiter als Frustobjekt, Exempel und Betätigungsfeld herzuhalten! In ihrem letzten Pamphlet vergleicht Baum und Busch sich selbst und gleich alle Menschen in Wihelmsburg mit Indianern, denen von Westernreitern das letzte Stück Grün genommen wurde. Ein Wagenplatz, der ungewollte Zivilisation bringe…! Da dieser Vergleich an Geschichtsvergessenheit schwer zu übertreffen ist, nochmal in deutlichen Worten: Eine kleine Truppe selbst ernannter „NaturschützerInnen“ sieht sich selbst als Betroffene, denen ein alternatives Wagenplatz-Projekt im gleichen Stadtteil auf einer Industriefläche ein „wildes Grün“ „wegnimmt“ – analog eben exakt so, wie die Kolonialisten in Nordamerika die dort lebenden natives ermordet haben. Einfach drüber weglesen? Ne, bei so einem Schmu kommt die Galle hoch. Baum und Busch disqualifiziert sich endgültig selber. Wir fragen uns nachts um 1.30 beim Schreiben dieses Textes: Warum müssen wir uns mit so einem Quatsch auseinandersetzen?!

Räumt euch doch selber – wir haben noch was besseres vor!

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Dokumentiert – Offener Brief von „Baum und Busch Wilhelmsburg“ 5. Mai 2011, in der Fassung, die Baum und Busch uns per Mail zukommen ließ.

„Wir, die Wilhelmsburger Umweltschutzgruppe Baum & Busch, distanzieren uns hiermit vom Bauwagenplatz Zomia. Wir hatten zunächst versucht, mit Zomia im Sinne einer guten Nachbarschaft zusammen zu arbeiten. So haben wir gemeinsam mit ihnen Schilder entwickelt, die auf die vielfältige Natur auf der von Zomia besetzten Fläche hinwiesen und zu schützendem Verhalten (z.B. Hundeanleinen) aufriefen. Dabei wirkten unsere direkten Zusammentreffen immer freundschaftlich und kooperativ. So sagte Simon von Zomia bei unserem ersten Treffen, er würde sich wünschen, dass die Fläche, wenn Zomia sie irgendwann einmal wieder verlassen müsste, ökologisch hochwertiger sei, als zu dem Zeitpunkt, zu dem sie diese vorgefunden haben.

Nun mussten wir leider feststellen, dass der Unterschied zwischen dem, was von Zomia gesagt wird, und dem, was tatsächlich geschieht, sehr groß ist. Der Tropfen, der für uns das Fass zum Überlaufen brachte, war die Ankündigung und Durchführung zweitägiger Maifeierlichkeiten inklusive Lifemusik und Tanz auf der schönen Fläche. In einem solchen Primärwald derartige Partys mitten in der Brutzeit zu feiern, ist so ziemlich das Schlechteste, was man tun kann. Es stört die Vögel bei der Brut massiv. Ausgerechnet bei großer Trockenheit mit vielen Leuten auf der Fläche herum zu trampeln, schädigt den Wuchs der Gräser und Kräuter unter Umständen für den Rest des Jahres oder länger. Die Verdichtung des Bodens durch die vielen Füße macht ihn für Insekten unbewohnbar und für Wurzeln undurchdringlich.

Die Fläche wird von Zomia systematisch ökologisch entwertet. Der Ausgleich, der bei Bebauung für solch eine entwertete Fläche zu leisten wäre, würde viel geringer ausfallen, als dies vorher der Fall gewesen wäre. Danke dafür!

Wenn trotz gemeinsam aufgehängter Schilder die Hunde von Zomia(besuchern) im Brutgebiet frei laufen und Holz aus den umliegenden Gebüschen für Abgrenzungen gebrochen wird, hinterlässt das ebenfalls bleibende Schäden (ganz zu schweigen davon, dass die gemeinsam aufgehängten Schilder längst weg sind). Es sorgt auch für Ärger bei denjenigen, die die Fläche seit Jahren nutzen und ihre Hunde selbstverständlich anleinen. Ärgerlich und naturfeindlich sind auch das häufige Fahren mit schweren Fahrzeugen über den Parkweg und die Wiese und das Autoschrauben ohne Schutz der Wiese vor Altöl und anderen schädlichen Stoffen.

Wir sind offen für alternative Projekte und verstehen sie grundsätzlich als Bereicherung für den Stadtteil. Liebe Zomias, von uns aus könnt ihr in Wilhelmsburg bleiben, aber geht bitte an einen Ort, wo ihr keinen Schaden anrichten könnt. Und bitte bestellt das auch euren Baumhausnachbarn, die im letzten Sommer bissige Hunde freilaufen ließen und jetzt wieder den Boden mit Teppichen abdecken, um die ursprüngliche Vegetation zu verdrängen, weil sie dort Gemüse anbauen wollen.

Liebe Neubürger, Wilhelmsburg ist nicht der Wilde Westen für Auswanderer aus der Stadt! Weder unsere Landschaften noch wir selbst bedürfen der Kultivierung! Auch wenn ihr das nicht wissen wollt: Es gab schon Leben auf den von euch okkupierten Flächen, bevor ihr sie besetztet. Ihr nehmt der Allgemeinheit ein schönes, wildes Grün weg und baut Euch darauf Euer Westerndorf. Wir Wilhelmsburger wollen nicht die Indianer sein, denen eine Naturfläche nach der anderen genommen und zerstört wird – auch nicht für so genannte alternative Lebensentwürfe. Baut doch Euer Gemüse im Kleingarten an. Ist weniger hip, aber viel naturverträglicher!

Wir wünschen uns Neuwilhelmsburger, die den Menschen und der Natur der Elbinseln mit Respekt begegnen.“
Baum & Busch Wilhelmsburg

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Nach der Veröffentlichung von unserer Reaktion hat Baum und Busch uns eine neue Version ihres Briefes zugeschickt.

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